Thomas Tippner
Die Gruft
Mit einem schweren Schlag war die eiserne Tür zugefallen und hüllte Peter McCullum in Dunkelheit. Der gewichtige, immer nach Schweiß riechende Mann, riss die Augen auf. Stolperte durch die schwarze Düsternis und nahm einen schweren, abgestandenen Geruch wahr, der ihm das Atmen erschwerte. Sofort spürte er den pelzigen, brackig schmeckenden Geschmack auf der Zunge und ermahnte sich gedanklich, nur noch durch die Nase zu atmen. Ein Unterfangen, welches er abbrach, denn der üble Gestank von verwesenden und langsam zerfallenden Leichen, trieb ihm die Übelkeit in den Körper.
Er schüttelte sich. Wischte mit der Hand durch die spärlich auf seinen Kopf wachsenden Haare und spürte den feuchten, klebrigen Film auf seiner Kopfhaut und lehnte sich gegen die vor Nässe stehende Wand.
Das unablässige, in der Dunkelheit entstandene Tropfen zehrte nach wenigen Augenblicken an seinen Nerven. Das Knirschen unter seinen Schuhen, sagte ihm, dass kleine Steine herumlagen, die unter seinen enormen Gewicht zerbrachen.
Erneut glitten seine rundlichen dicken Finger über sein Gesicht.
McCullum wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Verstand nicht mal, wie es ihm gelungen war, in diese ausweglose, irgendwie seltsam erscheinende Situation geraten zu sein.
Er selbst war Anwalt und ein ziemlich erfolgreicher, wie er fand und es war für ihn auch nicht verwerflich, dies zu betonen.
Es blieb ihm ein Rätsel und er verflucht den Tag, an dem er das seltsame Schreiben erhalten hatte, dass ihn aufforderte, einer Sache nachzugehen, die ihn einige Jahre in die Vergangenheit führte. An einen Ort und Platz, der vor über hundertfünfzig Jahren als Friedhof entstanden war, und nun nur noch ein verwilderndes, kleines Stückchen Land war, um das sich keiner mehr kümmerte.
Keiner?
McCullum lachte heiser, als er den Gedanken fasste und schüttelte den Kopf, als er die Möglichkeit dachte, schnelles Geld zu verdienen. Eigentumsrecht war zwar ein langweiliges und trockenes Thema, aber die Menschen stritten sich ohne Unterlass und machten es ihm leicht, sein Geld zu verdienen.
Deswegen hatte er auch zugesagt.
Denn der Brief, der von einer Familie stammte, die dem Adelshaus angehörte, war immer eine lohnende Sache. Die Reichen stritten sich um Nichtigkeiten und merkten nicht, dass sie einen Mann wie McCullum reicher machten.
Nur in diesem Augenblick nicht!
McCullum hatte verloren und er wusste nicht einmal warum.
Er war auf etwas gestoßen, was er sich selbst nicht erklären konnte.
McCullum spürte die Nässe in seinem Rücken und der aberwitzige Gedanke an sein teures, aus einem Markenladen stammendes Hemd, ließ ihn verwundert in die Dunkelheit blinzeln. Er wusste nicht, warum er sich darüber ärgerte, dass dieses Hemd, welches immerhin gute zweihundert Pfund gekostet hatte, durch die Feuchtigkeit kaputt gehen konnte.
Es konnte ihm egal sein!
Er war gefangen, von einer Bande seltsamer Männer eingesperrt, die er weder kannte noch jemals in seinem Leben hatte kennen lernen wollte.
Er schnaufte, als er sich von der Wand wegdrückte. Er unterdrückte den Impuls, die Hände in der Stoffhose abzuwischen, die sich durch einen ledernen Gürtel an seine Hüften schmiegte.
Er taumelte vorwärts und stieß mit den Knie gegen eine Erhöhung. McCullum hatte sie bemerkt, als er durch einen Stoß vorwärts taumelte und den Herren im Himmel dafür dankte, dass er noch dämmerndes Licht sehen durfte, bevor er in undurchdringlicher Finsternis verschwand. Es war eine Art Grabstein, wie er vermutete, und als seine Finger über das glatte Gestein wanderten, befiel ihn eine Gänsehaut. Sie rieselte seinen Rücken herab und wanderte bis in seine Kniekehlen, wo sie ein leichtes Zittern verursachten und McCullum glauben ließen, gleich hinzufallen.
Sein Herz schlug hart in seiner Brust und erzeugte einen unangenehmen Druck an seinen Rippen, so dass er seine feuchten Finger über die Stelle gleiten ließ, die ihn schmerzte.
Da hatte ihn der rüpelhafte Stoß des blassen, hoch gewachsenen Mannes getroffen, der seine schwarzen Haare immer mit einer fahrig wirkenden Handbewegung zurückkämmte, und aus hart blickenden Augen schaute.
Mit einem unguten Gefühl im Bauch dachte McCullum an den Mann zurück, der sich von hinten an ihn herangeschlichen hatte und ihm die Hand auf die Schulter legte, um ihn herumzureißen.
McCullum schluckte, als das leise Tropfen zu ihm herüber drang. Er fühlte sich gehetzt von dem immer wiederkehrenden Geräusch und hoffte inständig, dass es sich bald zurückzog. Das es verschwand und er seine Gedanken wieder ordnen konnte, um seine Situation klar und realistisch zu analysieren.
Es gelang ihm nicht!
Egal wie sehr er es auch versuchte, lenkten ihn alle Geräusche, in der Dunkelheit zuckende, Lichtreflexe ab. Er stöhnte leise, als er das Zittern der Knie nicht unter Kontrolle bekam und seine Hände sich wie Schraubstöcke um den glatten Stein schlossen, die sie eben schon festgehalten hatten.
McCullum schnaufte hörbar und als er in die Dunkelheit sprach, hörte sich seine Stimme an, wie ein Reibeisen: „Das kann nicht euer ernst sein. Ihr könnt mich hier doch nicht zurücklassen!“
Niemand antwortete ihm!
McCullum lauschte und hoffte die Stimme seines Gegenübers zu hören, der sich vorhin vor ihm aufgebaut und ihn aus einem kalten, zu blass wirkenden Gesicht anschaute und mitleidig genickt hatte, als einer seiner Helfer die Tür zur Gruft öffnete.
McCullum klammerte sich an die Erinnerungen. Er versuchte den Geruch wahrzunehmen den die Weiden ausgeströmt hatten, als er das schmiedeeiserne Tor zum Friedhof passierte, über den zugewachsenen Kiesweg schritt und sich nach seiner Auftraggeberin umgeschaut hatte.
Nicht ein Bild huschte ihm durch den Kopf.
McCullum war alleine!
Alleine mit Toten!
Er glaubte jemand packe ihn am Hals und drückte erbarmungslos zu. Die Luft verschwand aus seinen Lungen und als er schnaufend versuchte zu Atmen, hatte er das Gefühl jemand saß ihm auf seiner Brust und verhinderte, dass seine Lungen den Sauerstoff aufnehmen konnten.
Der feine, glitzernde Schweiß, der ihm auf der Stirn saß, lief an seinem Kopf herab. Er spürte die kleine, kitzelnde Bahn, die der salzige Tropfen nahm, und als dieser sein Kinn erreichte, an diesem kurz hängen blieb und sich noch nicht entschieden hatte, ob er nun fallen, oder hängen bleiben sollte, wischte er sich mit der Hand durch das Gesicht und blinzelte in die Dunkelheit.
Dorthin, wo er vorhin schon gemeint hatte, einen kleinen, aus einer Fuge tretenden Lichtschein gesehen zu haben. Kurz hatte es dort aufleuchtete und war dann wieder verschwunden.
Dort war es wieder gewesen! Hoffnung keimte in ihm auf und als er vorwärts stolperte, sich weiter an dem aus der Erde ragenden Grabstein festhielt, fragte er mit zitternder Stimme: „Hallo? Hallo? Ist hier jemand? Bitte sagen sie doch etwas!“
Niemand antwortete.
Nur das leise, von kleinen Füßen verursachte Trippeln und Trappeln, hallte ihm entgegen und ließ McCullum das dickliche Gesicht verziehen.
Ein Quicken hallte in der Düsternis auf und als sein Fuß gegen einen kleinen, pelzigen Körper stieß, der sich huschend in die Dunkelheit verzog, blieb er angeekelt stehen. Die dicklichen Hände legten sich auf sein Gesicht und als er seinen warmen Atem einatmete, hoffte er, dass die Berührung, die er am Hosenbein spürte, nicht von einem der Geschöpfe stammte, die er am meisten verabscheute.
Ratten!
Kleine, in der Kloake lebende Viecher, die Krankheiten übertrugen und sich von dem Müll der Leute ernährten. McCullum betete und schrie erschrocken auf, als er spürte, wie sich das Gewicht an seinem Hosenbein erschwerte; Ihm unmissverständlich sagte, dass einer der kleinen Bewohner der Gruft sich dran gemacht hatte, an ihm hinauf zu klettern.
Sie kletterte an ihm hoch und ihren kleinen Krallen drangen durch den weichen Stoff seiner Armanihose. Seine Beine berührte und ihm leicht stachen, dass ihm schlecht werden ließ. McCullum musste all seinen Mut zusammen bringen, um die Ratte von seinem Bein zu wischen. Er keuchte leise, als seine Hand über die Barthaare des Tieres strich. Den runden Körper packte und ihn in die Dunkelheit warf. Gegen die, gegenüberliegende Wand musste, gegen die das Tier schlug. Einmal quiekte und dann zu Boden fiel –weite, leise, klagende Laut von sich gab, die einen Tumult um McCullum herum auslösten. Ihn erschrocken zurückweichen ließ. Er taumelte in die Dunkelheit und als er wieder gegen die Wand stieß, schrie er auf und wusste, woher das Tropfen kam, welches ihn störte, seit dem er in der Gruft verharrte.
Dort, wo sein Rücken sich gegen das kalte Gestein presste, war ein deutlicher, zu Boden rieselnder Wasserlauf zu spüren, der seine Kleidung durchnässte. Sich kalt auf seine Haut legte und ihn meinen ließ, unter Tonnen von Eis zu liegen.
Er schnaufte, spürte die kleine Wölbung in der Wand und wusste, wo sich das Wasser sammelte. Über den Rand floss und zur Erde fiel. Seine Schuhe glitten durch das kalte Wasser und als ihn eine Ratte ansprang, schrie er, so dass es laut von den Wänden wieder hallte.
Der Schmerz war nur von kurzer Dauer, aber er fraß sich durch seinen Handrücken in das Handgelenk und ließ McCullum denken, seine Haut würde in Flammen stehen.
Er schnaufte, als er versuchte das Ungeziefer von sich zu lösen. Es gelang ihm, nur dass sich erneut die Ratten daran machten, ihn anzufallen und ihre kleinen, scharfen Schneidezähne durch seine Kleidung in seine Haut bohrten.
McCullum stieß mit dem Kopf gegen die Wand, als er wieder zurück taumelte, gegen den Körper einer Ratte trat und diese tötete. Er würde sie alle vernichten!
Keines der Viecher würde es schaffen, ihn auch nur ein weiteres Haar zu krümmen.
McCullum kämpfte. Er schlug um sich und da, wo er die Ratten zu fassen bekam, zerquetschte er sie oder zertrat ihre Leiber. Die schmatzend auseinander platzten oder brechend entzwei gingen.
Der Ansturm der Tiere dauerte nicht lange.
Sie merkten schnell, dass das Opfer, welches sie sicher geglaubt hatten, sich noch wehren konnte, und es den kleinen Bewohnern der Gruft nicht leicht machen würde, sich von ihnen fressen zu lassen.
Als er die kleinen, davon huschenden, nackten Füße hörte, atmete McCullum erleichtert auf und die kleinen, pochenden Schmerzen, die sich von seinen Knöcheln bis zu seinen Oberarmen hinzogen
„Das... das halte ich nicht aus“, flüsterte er, als er die kleinen Blutstropfen spürte, die von seinen Handgelenken über seine Finger liefen: „Ich... ich muss hier raus!“
„Dann komm hier her“, flüsterte eine Stimme durch die sich nicht bewegende Dunkelheit und ließ McCullum erstarren. Seine Augen weiteten sich. Sein schon schnell schlagendes Herz machte einen schmerzhaften Sprung in seiner Brust und als er meinte, den Verstand zu verlieren, rieselte ihm ein warmer, unangenehmer Schauer über den Rücken, der ihn in die Knie sinken ließ. Der ihn einen rasenden Schmerz durch den Körper jagte und ihn glauben ließ, jeden Augenblick an einem Hirnschlag zu sterben.
Er wusste, wie diese Krankheit funktionierte. Das sie im Gehirn kleine Arterien verstopfte und so einen Überdruck erzeugte, gegen das das Hirn nichts ausrichten konnte. Das man an Blutungen sterben konnte, die einem langsam in den Schädel liefen.
„Komm“, hauchte die Stimme erneut und ließ McCullum an den Fernsehnbericht denken, den er mit seiner Frau gesehen hatte, welcher sich mit Medizin und Gesundheit beschäftigt hatte. Er hörte noch die ruhige, unbetonte Stimme des Erzählers, wie sie die einzelnen Symptome aufzählte während McCullum verächtlich mit dem Kopf schüttelt, nach dem Bier griff und zu seiner Frau sagte, dass ihm so etwas niemals passieren würde.
Diese hatte gelächelt und weiter auf die flimmernden Bilder geschaut, die die Windungen des menschlichen Gehirns zeigten, und die Stellen markierten, an welchen die kleinen Arterien zerplatzten.
„Los, beeile dich und komm hier her. Du kannst nicht die ganze Zeit auf dem Boden hocken bleiben!“
„Aber“, stammelte er, während seine Finger die Schläfen massierten und er nicht wusste wie er sich verhalten sollte: „Aber, wie ist das möglich?“
„Ich erkläre es dir später. Nun komm schon.“
Schwerfällig erhob sich McCullum und das Rascheln seiner Kleider ließ ihn in die immer noch bestehende Dunkelheit schauen, die er mit seinen Blicken nicht durchdringen konnte. Es schien zu schwer zu sein und als er da stand, mit unsicheren Schritten durch das Nichts schritt, glomm kurz das Licht einer Kerze auf.
Ein einfaches, kleines Signal, dass die Konturen für einen minimalen, zu kurzen Moment aus der Dunkelheit riss und den Anwalt eine Öffnung erkennen ließ, die durch eine Verschiebung der hinteren Wand der Gruft entstanden war.
McCullum keuchte, als das Licht erlosch. Ihn die Sicherheit nahm, die kurz durch ihn gewallt war, wie ein wärmender Sonnenstrahl und ihn hoffen ließ, das eben erlebte vergessen zu können.
Doch das, was er sah, als er über den toten Körper einer Ratte stolperte, durch die Öffnung brach, die sich knirschend hinter ihm schloss, ließ ihn erstaunt die Luft ausstoßen.
In einem kleinen, rechteckigen Raum, stand eine junge Frau. Der behangen war, mit zwei kleinen Öllampen, die aus dem vorherigen Jahrhundert stammen mussten. Ein zuckendes Licht abgaben und von einem unbekannten Lufthauch hin und her zuckten. Die schwarzen Haare fielen der jungen Frau lang über die Schultern und das blasse, ihm irgendwie bekannt vorkommende Gesicht, lächelte verschmitzt. Der kleine Tisch, vor dem die Gestalt stand, war bedeckt mir einem Teller, Besteck und einer Schüssel, in der Äpfel und Pfirsiche lagen. Verwirrt über die plötzliche Veränderung und verängstigt über die Enge des Raumes, schaute McCullum sich um und blickte auf die Wand, die sich fugenlos ins Fundament der Gruft eingelassen hatte und den unangenehmen Geruch von verwesenden Menschen aussperrte.
„Das... das ist unmöglich“, flüsterte er und ließ den Mund vor erstaunen offen, als er das dünne, leicht durchsichtige Kleid erkannte, welches die Frau am Körper trug. Ihre kleinen, runden Brüste zeichneten sich deutlich unter dem wehenden Stoff ab und die kleine, ebenfalls in schwarz gehaltene Stola, die auf ihren Schultern lag, ließ das ebenmäßige Gesicht der Frau leicht leuchten. Die grünen Augen stachen hervor und die hellen Lippen waren zu einem herablassenden Lächeln verzogen. Ihre Blicke glitten über den verschwitzten und nassen Körper McCullums, dem die Musterung unangenehm war und als er spürte, wie sie ihm ins Gesicht schaute, senkte er den Kopf.
„Ich habe Sie gerettet, Mr. McCullum“, meinte die Frau, indem sie ihre Hand ausstreckte und von dem Tisch wegtrat. Die Kerze, die sie in der linken hielt, ausblies und den Öllampen die Möglichkeit gab, ihre leuchtende Kraft zu entfalten.
„Ja“, hauchte McCullum und als er versuchte etwas zu sagen, kam ihm die Frau zuvor und drehte sich den Stuhl entgegen, der an den Tisch gerückt worden war.
„Setzten Sie sich doch erst einmal. Ich glaube, sie könnten etwas Essbares vertragen. Oder?“
„Aber... aber...“, verwirrt schaute McCullum zu der jungen Frau, die ihn mit einem verführerischen Lächeln begegnete, dass ihm die Schamesröte ins Gesicht trieb. Ihn mit dem Gedanken spielen ließ, nicht in der Wirklichkeit zu sitzen. Sondern in einem Traum gefangen zu sein, der sich lustig über ihn machte. Der seine überreizten Sinne dazu benutzte ihm eine Realität vorzugaukeln, die es nicht gab. Erst als McCullum seinen schweren Körper vorwärts schob, nach der Lehne des hölzernen Stuhls griff, der einen seltsamen, modrigen Geruch abgab, welcher dem Anwalt jetzt erst das erste Mal auffiel. Ihn die Nase rümpfen ließ und durch eine Art Schleier zu der jungen, in schwarz gekleideten Frau schauen ließ, die hörbar ausatmete und auf den Stuhl zeigte.
„Setzen Sie sich bitte, Mr. McCullum. Ich finde es schön, sie endlich einmal privat treffen zu dürfen. Denn ich habe eigentlich nicht damit gerechnet Sie als lebenden Menschen kennen zu lernen.“
„Nicht?“ Stotterte er und riss die Augen auf.
„Nun“, sagte sie scharmant, während sie sich setzte und darauf wartete das McCullum das gleiche machen würde: „Nachdem ich gesehen habe, dass mein Bruder hierher gekommen ist und sich auf dem alten Gelände umgeschaut hat, war ich der festen Überzeugung, wieder einmal das Leben eines Menschen aufs Spiel gesetzt zu haben.“
„Wieder?“
McCullum konnte dem nicht folgen, was die junge Frau ihm erzählte. Die die sein musste, die ihn vor einigen Tagen angeschrieben hatte und ihm dadurch den Auftrag erteilte, das Land, auf dem er sich zurzeit befand, ihr zuzuführen. Die Frau, die so geschwollen geschrieben hatte, die sich ausdrückte, wie jemand, der aus gehobenem Stand stammte, saß vor ihm und lächelte wie die Nichte, die McCullum hatte. Unbekümmert, frei und ohne Furcht vor der Zukunft.
„Sie sind... Sie sind...“
„Elisabeth Koolhol!“
„Aha“, machte McCallum und umklammerte weiter die Lehne des Stuhls, um sich einen sicheren Halt zu verleihen: „Aber... aber... Mir scheint, als ob Sie sich des öfters hier unten aufhalten.“
„Eigentlich immer“, nickte sie und sagte dies in einer Vertrautheit, die McCullum erschreckte, ihn blinzeln ließ so dass er die Lippen aufeinander presste. Er holte wieder tief Luft und als er in das Gesicht Elisabeths schaute, fragte er sich, ob sie ihn auf den Arm nehmen wollte, oder ob sie wirklich diese stoische Ruhe ausstrahlte.
„Bitte was?“
„Ja“, sie nickte: „Mein Bruder hält mich hier gefangen. Ihm gehört das Land und ohne seine ausdrückliche Einladung darf ich es nicht betreten.“
„Das ist lächerlich“, versuchte McCullum sich von dem Gedanken frei zu machen, der in ihm reifte, als er erneut Elisabeth anschaute, die ihre Hände auf den Tisch legte und die gespreizten Finger ineinander schob.
„Nein. Das ist Gesetz.“
„Blödsinn“, ereiferte sich McCullum, der bei dem Thema Rechtsfragen glaubte etwas Oberwasser zu bekommen. Er nickte der jungen Frau zu und sagte: „Jeder darf sich überall aufhalten. Nur nicht wenn es ausdrücklich verschildert oder schriftlich verboten ist.“
„Hier liegen die Sachen etwas anders, Mr. McCallum.“
„Wir sind in England und da besteht das Recht darauf, jedem Menschen seine persönliche Entfaltung zu gewährleisten.“
„Sie sagen es. Bei Menschen.“
„Wollen Sie mir sagen, dass Sie keiner sind?“
„Richtig“, lächelte sie und der Trotz aus der Stimme McCullums tropfte wie Wasser aus einem zu nassen Handtuch, verschwand sofort und seine Augen, die er zusammengekniffen hatte, weiteten sich vor Schreck.
„Was? Was haben Sie da eben gesagt?“
„Ich bin kein Mensch.“
„Sondern?“
„Ein Vampir“, meinte Elisabeth leise und schaute von unten nach oben. Sie lächelte nicht und ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. Starr schaute sie ihn an, und das kurze, rötliche funkeln in ihren Augen, machte McCullum verrückt vor Angst.
Eigentlich hatte er etwas Scharfes erwidern wollen, Elisabeth Koolhol seinen Hohn entgegen schleudern, um ihr zu zeigen, wie wenig er von dieser Maskerade hielt.
Eigentlich!
Doch als er sich vorbeugte, mit der Zunge über seine Lippen fuhr und sich schwer auf die Lehne des Stuhls stützte, brach etwas in ihm. Es war das Vertrauen in den logischen Menschenverstand, der ihm zwischen den Fingern zerrann wie Sand und ihn dazu zwang, in die immer noch leuchtenden Augen zu schauen und auf die Lippen zu achten, die sich leicht nach oben schoben.
Weiße, gerade gewachsene Zähne, nichts besonders und doch anders...
Irgendwie... McCullum keuchte, und blinzelte, als er weiter auf den leicht geöffneten Mund schaute und die Eckzähne erkannte; Spitz zulaufend, die in dem flackernden Schein leicht leuchteten und McCullum dazu trieben, den Stuhl loszulassen und rückwärts zu taumeln. Er hatte Angst und das Gefühl in seinem Bauch, etwas würde in ihm platzen, ließ ihn verstört zu Elisabeth schauen, die leicht nickte und die Lippen schloss. Ihn anschaute und beobachtete, wie er rückwärts ging. Gegen die Wand stieß und kurz die Augen schloss.
Er wollte hier heraus!
Natürlich hatte er schon davon gehört, dass es Jugendliche gab, die einem gewissen Totenkult frönten. Sich davon fasziniert zeigten sich wie Untote zu kleiden oder so zu tun, sie wären ein Vampir.
Doch das, was er da sah, ließ ihn zweifeln.
Er wusste nicht warum, aber die Erkenntnis, die in ihm saß, ließ ihn nicht daran zweifeln, einem wirklichen und echten Vampir gegenüber zu sitzen. Es war eine Aura, die von der jungen Frau ausging. Die nach McCullum griff, ihm zeigte, einem Wesen gegenüber zu stehen, dass anderes war als andere.
Das sich darauf berufen konnte, hunderte von Jahren gelebt zu haben, ohne einen Tag zu verschwenden.
Sie lebte immer.
Sie lebte für sich.
Sie lebte von Blut!
Seinem Blut!
„Nein“, hauchte er und fasste sich an den speckigen Hals, der auf dem Kragen seines Hemdes saß und zwei, kleine, übereinander lappenden Hautringe zeigte, die von einem zu guten Essen und trägem Leben erzählten.
„Sie brauchen keine Angst zu haben, Mr. McCullum. Ich trachte nicht nach ihrem Blut. Zu lange schon habe ich darauf gewartet, hier heraus zu kommen und wie undankbar wäre ich doch gewesen, wenn ich mir das nehme, was Ihnen am wichtigsten ist.“
„Das... dass ist verrückt“, flüsterte McCullum und ignorierte Elisabeth: „Das kann nicht echt sein.“
„Ich bin frei, wenn Sie mir die Urkunde aushändigen, um die ich sie gebeten habe, Mr. McCullum. Die, auf der verzeichnet steht, dass mir, so wie meinem Bruder das Gelände gehört, auf dem wir uns befinden.“
„Urkunde?“ Hauchte McCullum und schaute an sich herab: „Was für eine Urkunde?“
In den Augen Elisabeths blitzte es für einen kurzen Moment auf.
Ihre Lippen zuckten und als sie sich erhob und der Stuhl über den Boden schabte, glaubte McCullum jemand würde seinen Hals zerreißen. Er hatte Angst um sein Leben und die fest aufeinander gesetzten Lippen der Frau, zeichneten deutlich die Konturen der beiden, spitz zulaufenden Zähne ab.
„Die, die Ihr mir bringen solltet!“
„Ich habe den Antrag gestellt, in die Besitzurkunden schauen zu dürfen, mehr noch nicht.“
„Was?“
„Ja“, McCullums Stimme zitterte. Er schnaufte und die Furcht davor, dieser Frau in die Hände zu fallen, ließ ihn die Augen schließen. Warm atmete er aus und hoffen, dass die Frau ihr Versprechen einhielt, welches sie ihm eben noch gegeben hatte.
„Dann haben Sie meine Besitzurkunde nicht dabei? Sie lassen mich weiter hier schmoren?“
„Es tut mir leid. Wirklich. Aber Ihr Schreiben, mich sehen zu wollen, hat mich denken lassen, Sie wollten die Einzelheiten geklärt haben.“
„Ich will die Urkunde!“ Schrie Elisabeth, die ihre Hände zu Fäusten ballte: „Die Urkunde.“
„Die gibt es noch nicht. Ich habe die entsprechenden Formulare noch nicht ausgefüllt.“
„Warum?“
Die Verzweiflung, die in der Stimme der Frau mitschwang, ließ McCullum einen leichten Stich im Herzen fühlen. Die Hoffnungen, die sie in ihn gesetzt hatte, hatte er bitterlich enttäuscht und die Trauer, die sie empfinden musste, spiegelte sich in ihrem maskenhaften, wie starr wirkenden Gesicht wieder.
„Es gab mehr zu tun“, versuchte McCullum sich zu entschuldigen: „Es tut mir leid.“
„Dann werde ich weiter hier gefangen bleiben. Ich kann das Grundstück nicht betreten und mein Gefängnis verlassen.“
„Und... und was ist mit mir?“
„Wollen Sie zu einem Vampir werden?“ Fragte sie mit leiser, flüsternder Stimme.
„Dann bleiben Sie hier bei mir und warten auf Ihr Ende.“
„Nein“, hauchte McCullum: „das geht nicht. Ich... ich habe Frau und Kinder. Ich muss nach Hause.“
Elisabeth kicherte: „Es ist tragisch, aber so sieht der Humor meines Bruders aus. Er ist schwarz, sehr böse, um es so auszudrücken.“
„Wir müssen hier hinaus!“
„Ich kann Sie gehen lassen, McCullum, aber seien Sie sich gewiss, dass die Freunde meines Bruders Sie erwischen, bevor Sie auch nur einen Schritt über den Friedhof gesetzt haben.“
„Er hat mich vorhin auch nicht getötet.“
„Natürlich nicht. Er wusste ja, dass ich Ihnen helfen will. Das ich Ihre Hilfe brauche, um von hier fort gehen zu können. So rächt er sich an mir. Er gab mir Hoffnung und Ihnen setzt er zu, indem er sie hier sterben lässt. Sie sind sein Feind, denn Sie wollten mir helfen.“
McCullum schaute zu der Frau, die sich wieder auf ihren Platz gesetzt hatte. Sie musterte ihn unentwegt und die schmalen Lippen hatte sie zu einem Lächeln verzogen.
Elisabeth Koolhol seufzte, als McCullum sich ihr gegenüber setzte. Sie anstarrte und sich versuchte mit dem Gedanken vertraut zu machen, für immer hier unten leben zu müssen...
Ende
Beendet von Thomas Tippner am 10.09.2005 in Hamburg-Bergedorf
Mehr Infos:
http://www.canora-media.de (externer Link!)
Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 22:07 Uhr
(c) Twilightmag 2024
Version: 5.5